14.06.2014

Siebzehn Silben Ewigkeit


Bilodo ist mit seinen 27 Jahren Einzelgänger aus Leidenschaft.


Schüchtern und emsig in seinem Beruf, der zu seinem wunderlichen Leben recht gut passt:
Als Briefträger in Montréal zieht er täglich die gleichen Runden. Abwechslung bieten nur jahreszeitlich bedingte Wetterschwankungen und abendliche Spiele am Computer, in denen er ein paar Monster niedermetzelt. Sein Goldfisch ist sein stiller Begleiter. Kein aufregendes Dasein, wäre da nicht Bilodos kleines Geheimnis, das ihn auf seine Art und Weise mit anderen Menschen in Verbindung bringt:

Von der Kalligraphie fasziniert, liebt Bilodo handgeschriebene Briefe, nimmt sie heimlich mit nach Hause.

"Wem würde es etwas ausmachen, wenn ein Brief mit vierundzwanzigstündiger Verspätung zugestellt wurde? Und wer würde es überhaupt merken, dass er verspätet war?"

Behutsam öffnet er sie abends über Wasserdampf, liest sie und träumt sich hinweg in das Leben der Anderen. Die eine Hälfte des Lebens, an dem er teilnehmen kann, ergänzt er durch eigenen Briefe als Antwort darauf. Gemeinsam mit den Kopien der geöffneten Briefe bewahrt er die Korrenspondenzen in Ordnern auf.

Sein ganzes Leben steht Kopf, wenn Briefe von Ségolène einer jungen Lehrerin aus Pointe-á-Pitre auf Guadeloupe eintreffen. Geschrieben an den Literaturprofessor Gaston Grandpré.

"Er gestatte sich lediglich das flüchtige Vergnügen, den daraus aufsteigenden Orangenduft einzutamen, um den Brief dann wieder tapfer in seiner Tasche zu versenken und, der Versuchung widerstehend, den ganzen Tag lang dicht an seinem Herzen zu verwahren, wodruch das Vergnügen bis abends, nach dem Geschirrspülen aufgehoben wurde. Dann war es endlich so weit. Er verbrannte ein paar Tropfen Zitrusfruchtessenz, zündete Kerzen an, legte eine Schallplatte mit norwegischem Jazz auf, öffnete schließlich den Umschlag, drang behutsam in die Intimität des gefalteten Bogens ein und las:"

Dreizeilige Verse auf einem weißen Blatt Papier.
Nicht mehr und nicht weniger.
Siebzehn Silben.

Als Bilodo zufälligerweise herausfindet, dass es sich dabei um Haikus, eine japanische Gedichtform handelt, verschlingt er tonnenweise Bücher mit selbigen, um dann festzustellen, dass keines auch nur annähernd an jene von Ségolène heranreicht. Denn neben den innigen Zeilen findet sich Bilodo vorallem in ihrer Handschrift gefangen, die eine graphische Symphonie ist.

Mit jedem Brief, der von der jungen Lehrerin eintrifft, fühlt er sich mehr und mehr zu ihr hingezogen und erwartet sehnsüchtig ihre Briefe, lebt auf seine Art und Weise ein Leben mit ihr, taucht hinein in eine Welt, die ihn aus seiner eigentlichen Tristesse ins Paradies entführt.

Die Zerstörung seines Elysiums beginnt, als Bilodo eines Tages Augenzeuge von Grandprés tödlichem Autounfall wird und somit alle Verbindung zu Ségolène abbricht.
Verzweifelt über diesen plötzlichen Wegfall seiner heimlichen Liebe, seiner entzückenden Farbigkeit im Alltagsgrau beschreitet er einen ungewöhnlichen Weg, mietet sich in die Wohnung Grandprés ein und nimmt für Ségolène die Identität des Verstorbenen an.
Seine anfänglich mehr als plumpen Versuche, die Haikus an die junge Lehrerin im Namen Grandprés zu formulieren, steigern sich zum Ende hin in wahre Poesie, in der er seine erotische Leidenschaft zu Ségolène auslebt.

Bilodo verliert sich mehr und mehr an die Macht der Sprache und Liebe, bis ihm die siebzehn Silben die Ewigkeit bedeuten …

»So wie das Wasser
den Felsen umspült
verläuft die Zeit in Schleifen.«


Das Ende überrascht, das gebe ich ehrlich zu, will es aber lieber nicht verraten.

Denis Thériault hat mit seinem Roman eine wunderbar anrührende kleine, leise Liebesgeschichte verfasst, die mit einer großartigen Poesie, Leidenschaft und Sinnlichkeit aufwartet. Eine Reise zwischen Realtät und Fantasie, geschmückt mit erstaunlich faszinierenden Haikus.

Wer in Siebzehn Silben Ewigkeit gern reinlesen möchte, der kann sich hier die Leseprobe des dtv-Verlages anschauen.

Das Buch passt übrigens hervorragend zu einem ruhigen Wochenende wie diesem - gepaart mit einem feinen Samstagskaffee.


Und dann ab auf die grüne Wiese, um sich ins Lesevergnügen zu stürzen.
Das kann bei diesem feinen Buch schon mal bis in den Abend andauern, wodurch man dann noch in den genuss eines prachtvollen Himmelsblaus kommt.

In diesem Sinne wünsche ich euch allen ein vergnügliches Wochenende, mit viel Entspannung, jeder Menge Glücksmomenten und feinem Lesefutter.

Samstagskaffee für ninjasieben
Wolkenspektakel für Raumfee


7 Kommentare:

  1. welch ein himmel! das buch klingt spannend!
    herzlichen wochenendgruß
    dania

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  2. Habe ich vor zwei Jahren im Sommerurlaub gelesen..... Es war eine interessante Art, Zeit zu verbringen...
    Herzlichst
    yase

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  3. Das Himmel Bild ist Klassse! sonnige Grüße und schönes Wochenende
    Maria

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  4. Das Buch hört sich gut an.... kann man bestimmt auch in Nächten, in denen man kein Auge zubekommt, lesen. Tagsüber ist derzeit viel zu wenig Zeit für schöne Bücher.

    LG und dir ein himmelblaues Wochenende
    Verena

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  5. Das klingt spannend ... Haikus sind einfach faszinierend! Hier mein liebster: "Fallendes Blatt schwebt plötzlich an den Zweig zurück - Schmetterling!" Hach, schön ...
    herzlichst soulsister

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  6. Für ein Buch mit Niveau bin ich immer zu haben, Danke !Das Himmelsfoto ist wunderschön.
    Ein Moment festgehalten, der nie wieder kommt.

    Liebe Grüße
    Brigitte

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  7. Habe noch den Listigen Kater auf dem Nachttisch. :-) lg Regula

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Schön, dass du hier bist. Ich freu mich sehr über ein nettes Wort oder zwei oder drei :-)